Sonntag, 18. Dezember 2016
Here's my story...
Mein Name ist Sophia. Ich bin 26 Jahre alt und ich bin Psychologin. Meinen Masterabschluss habe ich schon seit mehr als einem Jahr in der Tasche und jetzt leite ich eine Beratungsstelle.

Dass ich so offen zugebe, dass ich Psychologin bin, ist eher eine Seltenheit. Wenn Leute mich fragen, was ich beruflich mache, gebe ich ganz unterschiedliche Antworten. Diese Tatsache hat mich zu der Frage geführt, warum ich das mache und wann ich eigentlich, welche Bezeichnung für meine Tätigkeit verwende. Fühle ich mich in der Rolle als Psychologin vielleicht gar nicht wohl? Oder möchte ich nicht, dass sich mein Gegenüber unwohl fühlt?

Wenn ich nicht sage, dass ich Psychologin bin, dann sage ich häufig „Ich habe Psychologie studiert“. Ich habe das Gefühl, dass ich damit den Begriff der Psychologin und seine Zuschreibung zu mir umgehen kann und so herunterspiele, was ich gelernt habe, wofür ich fünf lange und harte Jahre jegliche Anstrengung in Kauf genommen und mit Herzblut gekämpft habe. Falls ich das Gefühl habe, dass mein Gegenüber von dem Wort Psychologie abgeschreckt wird oder sich dadurch unter Umständen womöglich selbst minderwertig fühlt, vermeide ich es manchmal sogar ganz Psychologie zu nennen. Stattdessen erkläre ich einfach, dass ich in einer Beratungsstelle arbeite, wohlwissend, dass der Titel, den ich dann tragen könnte sehr weit gefasst ist. Ich könnte in einer Beratungsstelle als Sozialarbeiterin, Pädagogin, Heilpädagogin oder aber auch als einfache Verwaltungskraft arbeiten.

Auch der Name der Beratungsstelle ist wohlbedacht. Ich sage beispielsweise niemals, dass ich in einer „Erziehungsberatungsstelle“ arbeite, weil dies für viele impliziert, ich hätte ein Rezept dafür, wie man Kinder erzieht, was ich natürlich nicht habe und was es so auch gar nicht gibt. Ich habe (noch) keine eigenen Kinder. Bisweilen bin ich sogar froh, wenn ich schreiende Kinder wieder an die sehr bemitleidenswerten Eltern abgeben kann.

Wann genau sage ich also, ich sei Psychologin? Wenn ich darüber genauer nachdenke, dann fallen mir nur drei Situationen ein, in denen ich das offen zugebe:
1. Ich will jemanden beeindrucken.
2. Ich will jemanden abschrecken.
3. Jemand ist mir so lange mit seiner überheblichen Art auf den Sack gegangen, dass ich einfach mal raushauen muss, dass nicht nur er toll ist.
4. Jemand ist Arzt, Anwalt, Manager oder etwas vergleichbares (Oh.. es sind doch 4).


Die Reaktion, die ich auf meinen Titel und auf meinen Studienabschluss erhalte, lassen sich auch grob in ein paar Kategorien einteilen:

a) Es gibt die Menschen, die auch schon immmmmmmmm…er (!!!) Psychologie studieren wollten (und es aus irgendwelchen Gründen nicht konnten, z.B. weil sie immer zu faul in der Schule waren oder die Lehrer sie nicht mochten)

b) Dann gibt es die Leute, denen gleich der Schrecken im Gesicht steht und die kleinlaut sagen, sie müssten jetzt wohl aufpassen, was sie denken oder die tatsächlich fragen, ob ich ihre Gedanken lesen könne. Und ja… natürlich kann ich das. Mein Name ist nämlich Eduarda Cullen. Ich bin ein Monster, weil ich in der Sonne glänze (wie schrecklich!) und ich stehe total auf Tierblut (mmmmh… mega gut!). Diejenigen unter euch, die Twilight nicht näher kennen, fragen sich jetzt wahrscheinlich, ob ich den Verstand verloren habe. Also, Spaß beiseite. Natürlich kann ich keine Gedanken lesen, aber Leute, die so blöd fragen, lasse ich dann gerne in dem Gedanken, dass ich es könne.

c) Nicht zu vergessen sind natürlich die Leute, die sehr froh darüber sind, dass sie gerade einen Psychologen kennengelernt haben und die „unbedingt und sofort“ einen Rat vom Fachmann brauchen. Diese Leute schütten mir ihr Herz vor die Füße – ob ich es nun will oder nicht. Sie erzählen von ihren intimsten Geheimnissen und von ihrer familiären oder beruflichen Situation. Mittlerweile kenne ich zumindest die diagnostizierten Störungen der Leute in meinem Umfeld.
Ich versuche aus dieser Nummer immer rauszukommen, indem ich locker und scherzhaft sage, dass ich Geld nehmen muss, falls das Gespräch weitergehen sollte. Manchmal funktioniert das. Manchmal muss ich jedoch anderweitige Ausreden finden oder deutlich signalisieren, dass ich gerade Feierabend habe und nicht bei einem Bier über Probleme sprechen will (Davon rate ich übrigens grundsätzlich ab. Das geht nämlich niemals gut!)

Natürlich gibt es auch noch andere Reaktionen auf meinen Beruf. Viele Leute sagen auch einfach nur „Oh“ und verschwinden nach kurzer Zeit spurlos. Andere bezeichnen Psychologie als Humbug oder Quacksalberei. Manche fragen mich auch, was der Unterschied zwischen Psychologen, Psychotherapeuten und Psychiatern ist. Weil das eine sehr weitverbreitete Frage ist, werde ich hier direkt eine Antwort darauf geben. Psychologen haben „nur“ Psychologie studiert. Psychologische Psychotherapeuten haben zusätzlich eine sehr lange, zeitintensive und kostenaufwendige Ausbildung gemacht, um psychische Erkrankungen zu behandeln und zu therapieren. Psychologische Psychotherapeuten findet man meistens in Kliniken oder in eigenen Praxen, in denen sie sich selbstständig gemacht haben. Psychiater haben nicht Psychologie, sondern Medizin studiert. Sie haben nach dem Studium noch eine psychiatrische und psychotherapeutische Weiterbildung absolviert und dürfen – im Gegensatz zu Psychologen und Psychotherapeuten – Medikamente verschreiben. In der Beratung, Gesprächsführung und Diagnostik sind sie allerdings nicht so gut ausgebildet wie Psychotherapeuten.

Ich merke schon… ich schweife ab. Zurück zum Thema. Die lustigste Reaktion auf meinen Abschluss habe ich in einer Kneipe erlebt. Dort hat jemand lautstark und mit aggressivem Unterton gesagt „Nee… auf so ne Scheiße habe ich gar kein Bock. Guck bloß nicht in meinen Kopf, sowas kann ich gar nicht leiden.“ Ich saß nur da und grinste in mich hinein. Diagnose: Nicht mehr zu helfen!

Natürlich war es ein Mann, der so reagiert hat. Männer haben grundsätzlich sowieso ein größeres Problem mit Psychologen… oder vielleicht auch nur mit starken Frauen, die sich holen, was sie wollen :D

Ich denke, etwas, dass mich auch noch daran hindert, deutlich zu sagen, dass ich Psychologin bin, ist dass ich das Gefühl habe, Leute haben sehr große Erwartungen an diese Rolle. Die Leute meinen, sie gehen mit ihrem Problem zu einem Psychologen so wie sie mit einer Wunde zum Arzt gehen und dann heilt es schon von ganz alleine. Das wäre zwar schön, aber das entspricht nicht der Wahrheit. Kein Mensch der Welt kann einfach eine psychische Belastung verschwinden lassen. Psychologen sind auf die Mitarbeit der Klienten angewiesen. Eine Therapie und die intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Person sind harte Arbeit und anstrengend. Ein Psychologe ist darauf angewiesen, dass Menschen sich ihm anvertrauen. Daher ist es das wichtigste, einen Kontakt zu den Klienten zu finden und eine angenehme Atmosphäre zu schaffen. Man muss dem Klienten das Gefühl übermitteln, man verurteile ihn nicht für das, was er getan hat oder das, was er gelassen hat. Wichtig ist es auch, ihm zu vermitteln, dass man ihn respektiert und seine Ehrlichkeit und Offenheit schätzt. Das hört sich vielleicht jetzt einfach an, ist es aber nicht. Zumal es auch schwer ist, dies zu erlernen. Es gibt Psychologen, die sich diese Eigenschaften niemals aneignen können. Wie bei der Kindererziehung haben Psychologen übrigens auch kein Rezept für die Lösung von psychischen Problemen. Jede Belastung, jede Geschichte und jeder Klient ist individuell und was eine Lösung für den einen Klienten bedeutet, kann eine Katastrophe für einen anderen Klienten bedeuten. Natürlich gibt es hilfreiche Methoden, Techniken und Fragen, die einen in eine gute Richtung lenken, aber die Lösung muss jeder (mit Unterstützung) für sich selbst finden. Jetzt kannst du vielleicht verstehen, warum es tatsächlich nicht so einfach ist einen Rat bei einem Glas Bier zu geben.

Wenn ich jetzt noch genauer über meine Rollenidentität nachdenke, dann erinnere ich mich an eine Situation, in der ein Bekannter von mir gesagt hat, manchmal, wenn mich jemand fragt, was ich beruflich mache, klänge es fast so als sei es mir peinlich. Er hat mich dazu ermutigt, offen und frei heraus zu sagen, wer ich bin. Er hat gesagt, es sei etwas, auf das ich stolz sein könnte. Diese Situation schwirrt mir immer mal wieder im Kopf rum, weil es stimmt. Ich muss mich nicht schämen. Ich kann stolz auf mich sein. Und wenn jemand mit meinem Abschluss nicht zurechtkommt, ist das nicht mein Problem, sondern vielmehr seins. Seitdem mein Bekannter mir den Spiegel vorgehalten hat, bin ich deutlich offener geworden. Dennoch kann wohl jeder – aus vorher genannten Gründen – nachvollziehen, warum ich in meiner Freizeit nicht immer deutlich sagen möchte, was ich mache. Ob es jetzt Selbstschutz oder Scham oder auch Schutz meines Gegenübers ist – manchmal ist es auch in Ordnung den leichteren Weg zu wählen.

Zum Schluss möchte ich noch ergänzend anmerken, dass meine Rolle der Psychologin nur eine Facette – nur ein Teil von mir ist. Neben der Psychologin bin ich auch noch eine Tochter, eine Schwester, eine Schwägerin, eine Tante und für Einige auch eine Freundin. Ich bin eine Frau, die an das Gute glaubt und eine hoffnungslose Optimistin. In meinem Wohnzimmer stehen mittlerweile vier Gitarren und ich steige nach der Arbeit immer noch auf mein Laufband. Meinen Beruf habe ich mir ausgesucht und er ist sicherlich ein wichtiger Teil von mir, aber es gibt noch viel mehr, was mich ausmacht.

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